Strecke: ca. 38 Radkilometer
Von Obstplantagen, einer Apfelkiste, die sprechen kann, einem „Bett“ im Grasfeld und Hochzeitsbänken, die oft länger halten als eine Ehe
Ach, ist das schön! Ein paar Strampeleinheiten mit dem Rad durch die Speicherstadt, vorbei an der im Morgenlicht golden leuchtenden Elbphilharmonie zu den Landungsbrücken, und schon geht’s typisch hamburgisch weiter. Mit einer Schifffahrt auf der Elbe. Und zwar mit der HADAG Linie 62, die, das kann man sich ziemlich gut vorstellen, Hamburgs am meisten genutzte Fähre ist. Zusammen mit uns schieben rund 20 weitere frohgemute Radausflügler ihre Drahtesel auf’'s Schiff, das mit einem extra Fahrradständer-Bereich bestens für Räder ausgerüstet ist.
An Deck verteilen sich die Passagiere mit Abstand und Nasen-Mund-Schutz entlang der Reling auf die aussichtsreichsten Plätze. Denn wer mit dieser Fähre fährt, tuckert gemütlich elbabwärts an etlichen Sehenswürdigkeiten vorbei., Am Fischmarkt und an der
alten Fischauktionshalle, am Cruise Center Altona, wo zurzeit die Europa 2 ankert und auf ihren nächsten Einsatz nach dem Corona-Stillstand hofft, am eindrucksvollen Dockland und an den historischen Schiffen im Museumshafen Övelgönne. Außerdem entdecken Brigitte und Geli im Dock die Hanseatic, mit der sie erst vor wenigen Monaten eine unvergessliche Antarktis-Expedition gemacht haben.
Nach einer halbe Stunde ist das erste Etappenziel erreicht: die ehemalige Elbinsel Finkenwerder. Hier beginnt unsere heutige Radtour nach Stade. Finkenwerder? Na klar! Da denkt man doch sofort an Airbus! Selbstverständlich fahren wir erstmal zum weitläufigen Werksgelände des Flugzeugherstellers. Ich liebe die Delphin-ähnliche Form der Beluga-Maschinen und möchte endlich mal eine ganz aus der Nähe sehen. Leider sind wir noch zu weit weg, als ein „Luft-Flipper“ landet. Und als wir näher dran sind, steht er schon halb im Hangar und zeigt uns nur noch sein Hinterteil. Aber immerhin. Wir stellen unsere Räder ab und gesellen uns zu den Planespottern, die hier mit Hightech-Kameras und riesigen Objektiven auf den perfekten Schuss eines startenden oder landenden Flugzeugs hoffen. Doch gerade jetzt vergebens. Eine Maschine, von der alle denken, dass sie gleich startet, befindet sich wohl nur zu Testzwecken auf der Startbahn und kreiselt um sich selbst. Wir schwingen uns wieder auf die Räder und fahren zum Yachthafen im Rüschkanal, wo historische Kutter neben modernen Sportbooten dümpeln. Ein kurzer Fotostop, dann kurven wir auf einem breiten Radweg durch grüne Blumenwiesen. Die Sonne am blauen Himmel gibt alles, links sehen wir den Deich, rechts ahnen wir die Elbe. Einfach himmlisch.
Und so ganz allmählich kommen wir ins Alte Land, mit rund 20 Millionen Obstbäumen Europas größte geschlossene Obstanbaufläche. Apfelbäume, Kirschbäume, soweit das Auge reicht. Und alles hübsch ordentlich in Reih und Glied.
Nach etwa 17 Radkilometern zieht die Windmühle Aurora unsere Blicke an. „Schön, dass Du da bist“, begrüßt uns ein selbstgemaltes Schild. Ja, wir freuen uns auch. Wir würden uns allerdings noch mehr freuen, wenn das Restaurant in der 24 Meter hohen Mühle, die seit 1856 hier steht, geöffnet hätte. Schade! Keine Kaffeepause. Stattdessen eine Spazierfahrt durch den Jorker Ortsteil Borstel.
Lohnt sich auch. Schon wegen der gepflegten Fachwerkhäuser mit Brauttüren und Prunkpforten, dem hübschen Wehrt'scher Hof aus dem 17. Jahrhundert und der ehrwürdigen St.-Nikolai-Kirche mit dem alleinstehenden Glockenturm. Leider hat auch die Kirche geschlossen, und wir können die berühmte, von Arp Schnitger reparierte Orgel nicht anschauen. Dafür finden wir eine Altländer Hochzeitsbank mit einer zauberhaften Liebeserklärung. Eine schöne Sitte. Allerdings - so verrät ein Apfelbauer – halten die Bänke oft länger als die Ehe. Wir gehen aber fest davon aus, dass diese Bank dem Paar ewige Liebe garantiert.
Die erste Altländer Hochzeitsbank wurde 1776 zur Trauung des Dichters Gotthold Ephraim Lessing mit seiner Frau vor dem Rathaus in Jork aufgestellt
Am Borsteler Hafen zeigen Info-Kästen, wie dramatisch die Flut hier 1962 wütete. Und in einer„Apfelkiste für zwei“ lauschen Uli und ich
einem Info-Text über die Geschichte des alten Landes. Es ist die erste von geplanten sieben „Geschichtskisten“ hier. Eine originelle Idee!
Nach einer kleinen „Rettungsaktion“ (Zottels Käppi ist ins Wasser gefallen, kann aber mit Hilfe eines zwei Meter langen Zweiges und viel Geschick wieder herausgefischt werden) radeln wir weiter. Zunächst durch Obstplantagen, bis ein Weg rechts zur Elbe führt und diese kilometerweit begleitet. Wow! Ich habe gar nicht gewusst, wie viele schöne Sandstrände und lauschige Buchten es hier gibt. Schade, dass wir keine Badesachen dabei haben.
Am Café Möwennest auf dem Deich stärken wir uns mit einem wirklich guten Kaffee für den Rest der Tour.
Stade ist unser Ziel. Und eigentlich wollen wir uns in der Altstadt ein nettes Fischlokal suchen. Aber dann weckt kurz vor der Stadtgrenze ein Kiosk unsere Aufmerksamkeit: „Imbiss am See“. Auf den ersten Blick nett, auf den zweiten besonders. Denn im angrenzenden meterhohen Gras versteckt sich nicht nur ein kleiner See sondern es verbergen sich auch zauberhafte Sitzecken mit Liegestühlen. Wir finden, an so einem originellen Platz muss der Apérol Spritz besonders gut schmecken. Stimmt! Und die riesige Portion Fish & Ships, die Wirtin Gaby uns serviert, ist tooootaaaaal lecker. Ein ganz heißer Tipp, dieser Imbiss.
Zum Bahnhof sind’s von hier mit dem Rad nur noch 10 Minuten. Es ist spät geworden. Wir nehmen die nächste S-Bahn nach Hamburg. Das Städtchen Stade müssen wir uns beim nächsten Mal angucken.
Noch eine kleine Anmerkung zum S-Bahn-Verkehr. Wenn die Bahn aus technischen Gründen ausgesetzt und die nächste mit ständig wechselnden Bahnsteigen angekündigt wird, wenn der Fahrstuhl außer Betrieb ist oder es gar keinen gibt, dann werden Radfahrer kräftemäßig auf eine ziemlich heftige Probe gestellt. Wir danken an dieser Stelle unserem „Hamburger des Tages“, der in Neugraben diverse Male unsere Räder treppauf, treppab geschleppt hat. Es gibt sie tatsächlich noch, die Kavaliere 😘
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