heißt eine chinesische Weisheit.
Der Himmel mag uns. Unter Garantie. Denn wir balancieren mit unseren Stäbchen alles in Richtung Mund, was die Gastgeber auftischen: Gedämpften Seekarpfen und geköchelte Lammschenkel. Geröstete Rehrippen und Muschelsuppe mit schwarzen Hühnerfüßen. Goldbraune, knusprig frittierte Seidenraupen und gratinierte Seeschnecken. Und obendrauf kippen wir einen Seepferdchen-Schnaps. Im Stehen. Ex und hopp. „Gam bej!“
In der bauchigen Flasche, die uns von einer zart lächelnden Chinesin stolz präsentiert wird, „schwimmen“ die Seepferdchen im 50-Prozentigen.
„Schnaps für Vegetarier nicht gut“, kommentiert Huan Yong mit unbewegter Miene und schließt gleich eine Abhandlung über die Essgewohnheiten seiner Landsleute an: „Chinesen essen alles, was fliegt – außer Flugzeuge. Alles, was schwimmt – außer U-Boote. Alles, was Beine hat – außer Tische“.
Der 32-jährige Chinese aus Shanghai ist unser Reisebegleiter auf Hainan. Er spricht prima deutsch, verzichtet allerdings auf Artikel und grammatikalischen Firlefanz. Dafür erzählt er uns viel über sein Heimatland im Allgemeinen und über Hainan, Chinas größte Insel, im Besonderen. Und er hat einen wunderbaren Humor. Trocken und ansatzlos. Auch nach einer Woche noch dauert es mitunter, bis der Groschen fällt. Wenn er denn fällt. Wahrheit oder Witz? Vieles ist hier, im Südwesten Chinas, so ungewohnt, fremd und exotisch, dass man rund um die Uhr staunt, lächelt und sich wundert.
nennen die Chinesen Hainan. Zum einen, weil die Insel auf demselben Breitengrad liegt wie das US-Urlaubsparadies. Zum anderen, weil sie genauso schöne Palmenstrände hat, etwa 1528 km, weiß, feinsandig, von Palmen flankiert. Dazu viele vorgelagerte Inseln, türkisblaues Meer und 3000 Sonnenstunden im Jahr. Im Winter ist es bis 27° C warm, im Sommer manchmal über 40.
„Aber offiziell immer knapp drunter“, stöhnt Huan Yong. „Denn bei über 40 Grad müssen Chinesen nicht arbeiten.“
Mehr noch als Hitzefrei wünscht man sich im Land der Mitte, einmal im Leben auf der Chinesischen Mauer zu stehen und einmal auf Hainan Urlaub zu machen.
Dort kleidet man sich dann ein: Wild geblümte Hawaii-Hemden. Dazu Shorts und Hut aus dem gleichen Stoff. Das Ensemble gibts in jedem Laden mit verschiedenen Palmen-Mustern für rund fünf Euro. Einheits-Look für Männlein und Weiblein.
Allerdings tragen die meisten Damen dazu einen Schirm. Manchmal sogar Handschuhe. Auch am Strand. Damit die Haut makellos weiß bleibt. Das gehört zu den Schönheitsidealen. Huan Yong verrät uns, wie die perfekte Frau aussehen sollte: Weiße Haut, breites Becken, blaue Augen, Knoblauchzehennase (fein geschwungen), Kirschenmund (klein und rot) und Lilienfüße (klein und zierlich).
Tja, knapp vorbei ist auch daneben. Macht nichts! Dafür können wir Langnasen etwas, um das uns viele Schlitzaugen glühend beneiden: Schwimmen! Und das ist hier eine äußerst seltene Kunst. Strandurlaub bedeutet für Chinesen meist: Einmal ganz nah ans Wasser stellen und davon ein Foto machen lassen. Doch wehe, eine Miniwelle überrollt die Zehen, Wassertropfen spritzen vielleicht sogar bis ans Knie. Dann quietschen sie panisch und retten sich mit einem Sprung aufs Trockene. Aber das wird sich sicherlich bald ändern. Sie üben schon. Abends, wenn es dunkel ist, niemand sie beobachtet und kein Sonnenstrahl ihre zarte Haut malträtiert, paddeln sie in dicken Schwimmreifen im Hotelpool.
Tagsüber haben Hainan-Urlauber aus anderen Ländern die Traumstrände größtenteils für sich. Zum Beispiel rund um Sanya. Die zweitgrößte Stadt der Insel hat rund 700.000 Einwohner, 209 km Küstenlinie mit nicht enden wollenden weißen Sandstränden und 19 romantischen Buchten. Und vor der Küste liegen, wie hingetupft, 40 Badeinseln. Mit einem Motorboot fahren wir nach Boundary Island. Tauchschule, Schnorchelverleih, Wasserski, Verkaufsstände und Restaurants – alles da. Zuerst ein ausgiebiges Bad im 25° warmen Wasser. Erstaunlich: Um uns herum paddeln – obwohl heller Tag – etliche Chinesen mutig mit großen gelben Schwimmreifen!
Beim anschließenden Erkundungs-Spaziergang über das Inselchen wundern wir uns über die mitunter seltsamen Verrenkungen der Einheimischen. Huan Yong erklärt uns, dass sie versuchen, auf in die Steinplatten der Gehwege eingelassene Münzen zu treten. „Bringt Glück“, grinst er, erwischt im selben Moment mit den Zehenspitzen ein deutsches Eurostück – und strahlt. Ein paar Meter weiter berührt er andächtig eine große Schildkröte aus Sandstein. Eine von ca. 10 Schildkröten-Monumenten auf der Badeinsel. „Bedeutet langes Leben“, erfahren wir.
Langes Glück ist angeblich all denen hold, die am Tianya Haijiao heiraten. Das „Ende der Welt“ ganz im Süden von Hainan ist einmal im Jahr Zentrum einer Massenhochzeit. Um die 100 Paare aus ganz China geben sich an dem Strand mit Seychellen-Ambiente im Mai das Ja-Wort und feiern ausgelassen drei Tage lang. Ihre Gäste, aber auch mehrere Tausend unbeteiligte Besucher genießen das feierliche Zeremoniell. Leider sind wir zur falschen Zeit unterwegs und können das Schauspiel nicht miterleben. Aber unser sonst so nüchterner Begleiter gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er von den vielen glücklichen Paaren erzählt, die Bräute in langen weißen Kleidern, die jungen Männer in schwarzen Anzügen.Aber Tianya Haijiao ist auch an den restlichen 362 Tagen ein sehr gut besuchtes Ausflugsziel. Nicht etwa zum Heiraten. Und natürlich nicht zum Baden. Nein! Jeder Chinese möchte gern die bis zu sechs Meter hohen rundgewaschenen Felsenformationen sehen, auf denen in roter Farbe (Farbe des Glücks) die chinesischen Schriftzeichen für „Stütze des südlichen Firmaments“, „Rand des Himmels“ und „Grenze des Meeres“ stehen. Alle zusammen bilden das „Ende der Welt“, einst Verbannungsort für in Ungnade gefallene Soldaten und Beamte, heute Hochzeitsparadies, begehrtes Fotomotiv und eine Attraktion, die vom Tourismusamt mit der höchsten Wertung, nämlich „ 4 A“ belegt, wurde.
Auch das buddhistische Zentrum Nanshan ein paar Kilometer weiter westlich ist eine „4 A-Sehenswürdigkeit“. Zu Tausenden kommen die Gäste zu den Tempeln und Pagoden zu Füßen des 108 m hohen, weithin sichtbaren steinernen Buddhas der Bamherzigkeit. „15 Meter höher als Freiheitsstatue New York“, berichtet unser Reiseleiter stolz. „Bei Einweihung Frühling 2005 konnte man mit Fahrstuhl in Kopf fahren. Jetzt nicht mehr. Mönche fanden: Pietätlos.“
Mit einem Golfwagen fahren wir durch die riesige Anlage, in der auch der teuerste Buddha der Welt steht: 2 m hoch, aus purem Gold, mit Edelsteinen geschmückt. 19 Millionen Euro stehen da hinter Panzerglas. Fotografieren verboten!
Mittagessen gibts heute in einem vegetarischen Restaurant. Witzig: Die Speisen enthalten zwar weder Fleisch noch Fisch, sind aber täuschend echt nachgeformt und schmecken auch genauso: Krabben-Spieß und Tintenfischringe, Frikadellen und Lammkoteletts, Hähnchenflügel und Rippchen.
Das Beeindruckendste im buddhistischen Zentrum sind für mich die Fotos an den Wänden der Ausgangshalle: Überdimensionale Portraits alter Menschen. Gesichter mit zahllosen Falten, lebendig und voller Weisheit. „Das sind älteste Einwohner von Bezirk“, weiß Huan Yong. „Hier werden viele Menschen älter als Hundert. Sanya ist beste Gesund-Leben-Stadt der Welt.“
In der Tat gilt Hainan als eines der gesündesten Fleckchen der Erde. Wegen der guten, sauberen Luft und vieler heißer Thermalquellen. Die Lebenserwartung der Menschen liegt bei durchschnittlich knapp 75 Jahren. Und der gesündeste Ort auf der Insel ist Sanya. Dort, so berichtet Zhen Pei Qi, die Bürgermeisterin der Stadt, ist nicht nur die reinste Luft Asiens und das sauberste Wasser. Die Menschen sind auch besonders umweltbewusst und ernähren sich vernünftig. Zum Beispiel gibt es keine gespritzten Früchte. Alles Obst wird mit der Schale verspeist. Täglich essen die Menschen Gemüse, Reis, nur wenig Fett.
Großen Anteil am Ruf als Gesundinsel haben die heißen Thermalquellen, die überall auf der 34.000 qkm großen Insel sprudeln. Wir besuchen die Guantang Hot Springs bei Qionghai. 21 heiße Quellen laden dort in einem idyllischen Palmenpark zum gesundheitlichen Eintauchen ein. Künstliche Wasserfälle schmücken die gepflegte Badelandschaft. Rote Laternen markieren das Open-Air-Massage-Center. Besucher, die ihre Ruhe haben wollen, machen es, wie einst die Mandarine. Sie ziehen sich allein – oder mit Begleitung – in eines der Separés zurück und schwitzen ungestört in einem Holzzuber. Hier wie dort kann das mit Mineralstoffen versetzte Quellwasser mit zusätzlichen Wirkstoffen angereichert werden. Mit Gurkensaft (gegen Pickel und trockene Haut), Spargelsaft (gegen Verstopfung, Bluthochdruck und Leberfett), Kaffeewasser (regt an) oder einer speziellen Kräutermischung (gegen Impotenz). Übergewicht oder Liebeskummer. Fußpilz oder Haarausfall – auf Hainan scheint gegen jedes Problem ein Kraut zu wachsen. Und zwar im Jian Feng Ling Nationalpark, Chinas größter Tropenwald. Dort kann man rund 2800 verschiedene Pflanzen finden, darunter 2000 Arten von Heilkräutern, die für die TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) genutzt werden.
Auch einige Hotels haben eigene Thermalquellen, mit denen sie ihre Swimmingpools speisen. Das Crown Spa Resort Hainan in der Hauptstadt Haikou bietet seinen Gästen sogar den größten heißen Thermalquellen-Indoor-Pool der Welt. Darin schwimmen die sogenannten Doktorfische, die Psoriasis-Kranken befallene Hautbereiche geradezu „wegknabbern“ und mit ihren Fischmäulern massieren.
Das Größte, das Höchste, das Beste – die rührigen Tourismusverantwortlichen Hainans sparen nicht mit Superlativen. Noch sind die meisten der Touristen Chinesen, vor allem aus Südchina und Hongkong. Aber die Besucherzahlen aus Europa steigen.
Am Abend sehen wir zu, wie junge Paare anderthalb Meter hohe Lampions aus Papier mit roten chinesischen Schriftzeichen besprühen und in den Nachthimmel schweben lassen.
sagt Huan Yong und schaut verträumt zu den Sternen hinauf.